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Offener Brief

T1 Dieses Schreiben ist von der #MeToo-Bewegung und der wachsenden Welle mutiger und offener Gespräche über sexuelle Gewalt und Geschlechterdiskriminierung in den unterschiedlichen Kunst- und Unterhaltungsindustrien, sowie darüber hinaus, inspiriert worden. Es entwickelte sich aus den Diskussionen heraus von Musikern unserer Gesellschaft, die infolge eines vor kürzlich erschienenen Artikels in der Tageszeitung The Boston Globe, sowie vieler weiteren aktuellen Artikel, Essays und Medienberichten, die sich täglich über sexuelle Gewalt und geschlechtsspezifische Diskriminierung in unserer Branche offenbaren und verbreiten, entstanden. Im Sinne der Unterstützung von, der Solidarität gegenüber und des Engagements für die Schaffung einer Kultur der Gleichberechtigung in unserer Berufswelt, lädt das „We Have Voice“-Kollektiv andere dazu ein, sich uns anzuschließen und ihre Namen diesem Brief hinzuzufügen.

T2 An dieser Stelle möchten wir klarstellen, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Identität, gerecht und respektvoll behandelt werden sollen. Egal wie sehr die Kunst und/oder der Autoritätsgrad einer Person gefeiert, verehrt oder unterstützt wird, es ist niemand von der Rechenschaftspflicht freigesprochen.

T3 Wir, die unterzeichnet haben, sind Teil einer internationalen Gemeinschaft, die Musiker, Instrumentalisten, Sänger, Künstler, Komponisten, DJs, Pädagogen, Agenten, Manager, Förderer, Promoter, Assistenten, Kuratoren, Tech-Crew, Bühnenpersonal, Toningenieure, Gelehrte, Studenten, Schriftsteller, Journalisten, Fotografen, Filmemacher, Choreografen, Tänzer sowie jegliche sonstigen Berufsposten, die aktiv in unserer Branche agieren, miteinschließt. Wir sind Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten, Rassen, Fähigkeiten, Ethnien, Kulturen, Einwanderungsstatus, sexuellen Orientierungen und Identitäten, religiösen Überzeugungen und Zugehörigkeiten, wirtschaftlichen Hintergründen und Generationen. Wir stehen in Solidarität gegenüber denen, die untergraben, belästigt, angegriffen, verletzt, manipuliert, eingeschüchtert, bedroht und diskriminiert wurden. Wir stimmen dieser Definition von sexueller Belästigung zu.

T4 Diskriminierung und sexuelle Gewalt in der Musikindustrie trifft uns nicht als Überraschung. Von Personen in Führungspositionen, die Festivals buchen, in Musikcamps unterrichten, Universitätsprogramme leiten, an Schulen, Hochschulen oder Universitäten unterrichten bis hin zu Veranstaltungshallen- und Clubbesitzer, Plattenlabel-Mitarbeiter, Redakteure, Journalisten, Promoter, Produzenten und Moderatoren. Von Personen, die bekannte und anerkannte Musiker und Profis sind, deren Arbeit verehrt wird und mit renommierten Preisen anerkannt wird. Von Menschen, die trotz ihrer negativen Handlungen, weiterhin arbeiten und gedeihen. Täter von Diskriminierung und sexueller Gewalt sind oft mächtige Menschen, die ihre Macht missbrauchen. Ihr Verhalten trägt zur Normalisierung einer Umgebung bei, in der dieses Verhalten von anderen in der gesamten Gemeinschaft unterstützt wird. Sie nutzen ihre Macht nicht nur dazu, um Missbrauch zu praktizieren, sondern auch dazu, um Schweigen darüber zu fordern.

T5 Wir werden nicht schweigen. „Wir haben eine Stimme.” Wir haben keine Toleranz für sexuelle Belästigung.

T6 Wir sind dazu entschlossen, achtsam zu sein und in unserer kreativen Berufswelt mit transformativem Denken und Sein zu agieren. Nicht nur aus Solidarität den Überlebenden des Missbrauchs gegenüber sind wir gezwungen zu handeln, sondern auch um eine herrschende systemische Struktur aufzudecken und zu beseitigen, die Belästigung und Diskriminierung normalisiert und es Tätern und Mittätern ermöglicht, ihre Verhaltensweisen fortzusetzen, ohne für ihre negativen Handlungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Darüber hinaus erkennen wir an, dass unsere gegenwärtige Kultur eine solche ist, die Präsenz von Künstlern, die marginalisierten Geschlechtern, Ethnien, sexuellen Orientierungen (u.a.) angehören, von Veranstaltungen, Festivals, Lehraufträgen, Zeitungs- und Zeitschriftenrezensionen minimiert oder sogar ausschließt. Wenn wir ein Bewusstsein für sexuelle Gewalt schaffen, fördern wir hiermit auch ein Bewusstsein für solche Arten der Ungerechtigkeit und Unsichtbarkeit.

T7 Mithilfe einer intersektionalen Analyse erkennen wir an, dass sexuelle Belästigung, Gewalt und Diskriminierung sich auf Menschen mit verschiedenen und manchmal marginalisierten Identitäten auswirken, einschließlich Cisgender, Transgender, nicht binäre und geschlechtsneutrale Personen, Mitglieder der LGBTQIA-Gemeinschaft, Menschen mit verschiedenen Rassen, Ethnien, Kulturen, Immigrationsstatus, Fähigkeiten, wirtschaftlichen Hintergründen und religiösen Überzeugungen und Zugehörigkeiten.

T8 Die Musik ist unsere Arbeit und Berufung und auch ein Ort, an dem wir Dialog, Vorwärtsdenken, Empathie und Inklusion verbinden, vereinen, schaffen, kommunizieren und praktizieren. Intergenerationale Zusammenarbeit, Lehre und Sozialisierung sind schöne Traditionen, die für die Entwicklung und das Überleben unserer Kunst entscheidend sind. Wenn Musiker aus unseren Gemeinschaften andere verletzen, verletzen sie nicht nur diejenigen, die verletzt oder missachtet werden. Wir alle werden zu Komplizen im Machtmissbrauch und die Gesundheit und der Ruf unserer Gemeinschaft sind beschädigt. Die seriöse und offene Auseinandersetzung mit diesen Themen ist grundlegend dafür, um die vorherrschenden Einstellungen von Missbrauch, sexuellem Fehlverhalten und Diskriminierung in unserer Industrie und Gesellschaft zu verändern.

T9 Wir rufen unsere Kollegen dazu auf, sich zu äußern, wenn sie missbräuchliches oder diskriminierendes Verhalten und Verhalten, das jegliches Geschlecht in der Branche diskriminiert, beobachten oder vermuten. Alle unsere Kollegen müssen selbst die Initiative ergreifen, besonders diejenigen mit Privilegien und in Machtpositionen. Sie sollten nicht darauf warten, dazu eingeladen zu werden. Diese Themen werden oft als Probleme der Marginalisierten dargestellt, obwohl sie in der Verantwortung der Privilegierten liegen. Wir fordern unsere Kollegen dazu auf, über ihre eigene Mittäterschaft bei der Aufrechterhaltung von Missbrauch und Diskriminierung nachzudenken und aktiv darüber nachzudenken, wie sie einen positiven Beitrag zum Übergang in eine gerechte Umwelt leisten können.

T10 Wir rufen unsere Institutionen dazu auf, ihre Infrastrukturen dafür zu nutzen, um ihren Gemeinden Ressourcen zur Verfügung zu stellen, und eine aktive Rolle bei der Einweisung und Aufklärung von Lehrern, Mitarbeitern und Schülern über Fehlverhalten und wie dagegen vorzugehen ist, zu übernehmen. Um eine Gleichberechtigung bei der Personaleinstellung, Programmierung, Buchung und Studentenschaft zu schaffen. Um einen sichereren Raum für alle Schüler zu schaffen, insbesondere für die Schüler, die über ihre eigenen Erfahrungen mit Belästigung sprechen. Wir fordern unsere Institutionen dazu auf, nach Vorfällen von Machtmissbrauch und sexueller Belästigung durch Lehrer, Administratoren oder Bandleader mit gebührender Sorgfalt und unabhängig von der institutionellen Stärke, Langlebigkeit oder Bekanntheit der Täter zu handeln.

T11 Wir rufen unsere gesamte Gemeinschaft dazu auf, eine sicherere und gerechtere Umgebung für alle zu schaffen. Peers, Institutionen, Veranstaltungsorte, Kritiker, Presse, Festival-Kuratoren, Publikum und Panels müssen erkennen, dass die Repräsentation marginalisierter Gemeinschaften eine wichtige Rolle spielt. Für diejenigen, die Gewalt und Diskriminierung ertragen haben, kann das Sprechen so herausfordernd und traumatisierend sein wie die Gewalt selbst und diese Anschuldigungen erinnern uns daran, dass manche Türen (obwohl sie scheinbar für alle offen sind) für manche tatsächlich verschlossen sind. Wir rufen unsere Gemeinschaft dazu auf, intersektional zu denken und Empathie für die Menschen aufzuweisen, die auf mehreren und sich überschneidenden Ebenen marginalisiert und diskriminiert werden.

 T12 Wir rufen uns selbst dazu auf, mithilfe von Öffentlichkeitsarbeit in Form von Podiumsdiskussionen, Workshops und andere Bildungsinitiativen, den von uns erhofften Wandel zu ermöglichen. Wir verpflichten uns dazu, in unserer persönlichen und beruflichen Welt auf inklusive Weise zu agieren. Wir erkennen an, dass in unserer gegenwärtigen Kultur gewisse Verhaltensweisen tief verwurzelt sind und wir sind dazu bestrebt, an der Diskussion über die nötigen Veränderungen der Art und Weise, wie unsere Kollegen, Institutionen und die gesamte Gemeinschaft diese Angelegenheiten betrachten, und dessen Ausweitung, beteiligt zu sein.

T13 Unsere individuellen und gemeinschaftlichen Handlungen sind von Bedeutung. Veränderung ist ein fortlaufender Prozess, bei dem wir alle eine Rolle spielen und alle Stellung beziehen müssen. Wir, die unterzeichnet haben, sind zu viele an der Zahl, um zu schweigen. Wir haben eine Stimme.

“We Have Voice”-Kollektiv: Fay Victor, Ganavya Doraiswamy, Imani Uzuri, Jen Shyu, Kavita Shah, Linda May Han Oh, María Grand, Nicole Mitchell, Okkyung Lee, Rajna Swaminathan, Sara Serpa, Tamar Sella, Terri Lyne Carrington, Tia Fuller

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